Audrey Wagner
Sie tanzt, sie choreografiert und gestaltet die junge Winterthurer Tanzszene bedeutend mit: Audrey Wagner, 29. Ich lerne Audrey im Rahmen eines Fotoprojektes kennen und darf sie später dokumentarisch zu einem der pandemie-bedingt selten gewordenen Auftritte begleiten.
Es ist eigentlich ein angenehmer Herbstabend. Normalerweise würden die Gäste im Foyer schon ihr erstes Glas Sekt trinken und sich vergnügen. Das Geräusch der Gläser und Bruchstücke der Unterhaltungen würden in den Backstagebereich eindringen und die Vorfreude auf den Auftritt grösser werden lassen. Heute aber ist alles ein wenig anders. Das Publikum wird erst kurz vor dem Auftritt eintreffen und das Foyer als Durchgang nutzen. Dazwischen wird der Raum von den Tänzerinnen um Audrey zum Aufwärmen in Beschlag genommen. Im Saal bleibt jeder zweite Platz leer; eingerahmt wird die ungewöhnliche Szenerie von Schutzhinweisen und Desinfektionsmitteln. Es sind Pandemiezeiten und es ist eine andere Normalität die uns erwartet.
Audrey wirkt etwas angespannt und das hat gleich mehrere Gründe. Der Auftritt am heutigen Abend ist auf vielen Ebenen ein spezieller Anlass. Es ist ihr erster Auftritt auf einer grösseren Bühne; das erste Mal, dass das neu gegründete Merge-Dance-Collective - ein Zusammenschluss von Tanzschaffenden, die auf klassischem Wege keine Engagements erreichen konnten und nun ihren eigenen Weg gehen wollen - vor Publikum tanzen wird. Es ist aber noch mehr, als das, was für Nervosität sorgt. Die Spannung hat sich lang zuvor aufgebaut.
Mit dem Eintritt Covid-19s in unser aller Leben, veränderten sich die Möglichkeiten auf gesellschaftliche Teilhabe beinahe im Wochenrythmus. So bleibt auch dieser Tanzabend bis zuletzt eine Frage, die von der Entscheidung aus Bern abhängig ist. Darf man noch auf die Bühne? Wenn ja unter welchen Umständen? Werden all die aufreibenden Proben umsonst gewesen sein? Das belastet.
In den Wochen zuvor hat sich die neu-formierte Tanzgruppe verabredet. Die gemeinsamen Proben zu ihrem ersten Stück standen aber von Beginn an unter den erwähnten erschwerten Bedingungen. Das Merke Dance Collective besteht aus vierzehn Tänzerinnen. Sie alle kennen sich von der Ausbildung und haben allesamt ähnliche negative Erfahrungen mit Auditions und dem klassischen Weg auf die Bühne gemacht. Anstatt sich weiter auf raren Stellen und bei gefragten Choreografen zu bewerben, beschloss man etwas eigenes zu wagen. An diesem ersten Stück mitwirken werden ihrer XX. Zwei von ihnen - Julia und Tatjana - stammen aus Deutschland. Der Rest ist in der Schweiz wohnhaft. Die Anreise Julias und Tatjanas erweist sich schwerer als erwartet. Sie werden diesem ersten gemeinsamen Projekt nicht beiwohnen können.
„Das war schon sehr mühsam. Man war nie sicher, in dem was man plante. Die Fallzahlen waren ja im Oktober nochmals gestiegen. Entsprechend waren auch die Massnahmen verschärft und wir rechneten eigentlich mit noch weiterreichenden Konsequenzen. Für uns stand vieles in Frage: Konnten Julia und Tatjana jetzt reisen oder nicht? Musste man nach Grenzübertritt in Quarantäne? Am Ende entschieden die beiden sich dafür, kein Risiko einzugehen und blieben in Deutschland. Dann hat es ja noch Franka [eine der Gründungsmitglieder und Tänzerinnen des MDCs] erwischt. Mit ihr verbrachte ich sehr viel Zeit und als sie Symptome aufzeigte, hiess es auch für mich Zuhause bleiben. Und das ausgerechnet in der Phase, in der wir eigentlich als Gruppe hätten intensiv zusammenarbeiten sollen. Die Tests waren ja damals noch nicht so schnell. Wir sassen dann zwei Tage Zuhause und hofften einen negativen Bescheid. Der dann zum Glück auch so kam“
Trotzdem verloren Audrey und ihr Collective wertvolle Probetage. Die Zeit drängt auch jetzt: Es ist noch nicht alles vorbereitet. Da ist die Lichtprobe, der Soundcheck und der Raum, der erfühlt werden will. Wäre alles, wie immer... es wäre einfacher. Die positive Aufregung wäre grösser, als die Sorge, dass doch noch etwas unerwartetes dazwischen kommt. Über diesem Abend hängt etwas... Die Frage, ob es das vorerst letzte Live-Ereignis sein wird, denen wir als Akteure beiwohnen können, ob all die provisorischen Schutzvorkehrungen greifen und die Sorge, dass ein positiver Bescheid vielleicht doch alles Schöne in den Schatten stellt.